Späte Erkenntnis
Warum erst so viele Jahrzehnte vergehen mussten, eh sich langsam ein Bild aus vielen Bruchstücken zusammen findet. Erst jetzt, wo es schon ein wenig spät ist. Doch ist das Bild noch nicht vollständig, nicht einmal angenommen. Wirklich auf die Spur gebracht hat mich vor einiger Zeit ein Podcast aus der Serie «Innenwelten» in WDR 5. Darin erklärte Stephan Röpke von der Charité Berlin, was Narzissmus ist, wie er sich zeigt und wie man sich ihm gegenüber wappnen kann. Wie sich Narzissten verhalten und warum, und was die Konsequenzen für ihre Umwelt sind. Das Bild, das Röpke zeichnete, war ein etwas anderes als das, was ich schon in Büchern gefunden hatte. Was mich am meisten verblüffte, war, dass dieses Verhalten mir sehr vertraut war. Als wenn dieser Doc aus Berlin von meiner Mutter erzählte. Langsam, im Zurückblicken, dann noch von Birgit und Maria. Der Psychiater entwarf ein alltäglicheres Bild, doch die wesentlichen Methoden waren so noch deutlicher zu erkennen. Dass der Narzisst immer im Vordergrund steht, jeder andere Mensch unter ihm, jede Kritik und jeder Zweifel an ihm ein Kapitalverbrechen. Ein ganz wesentlicher Zug ist auch der, dass der Narzisst zwar Empathie vortäuschen kann, aber sich nicht wirklich in andere Menschen hinein versetzen. Dass sie ihm im Grunde völlig egal sind. Hauptsache er ist der Große und Einzigartige. Alle anderen haben sich ihm unterzuordnen. Nur er weiß, wo es lang geht. Doch letzten Endes steht hinter all dem Übel bei ihm, dass er unsicher ist und sein eigener Wert eher ungeklärt.
Und wie werden Kinder der Narzissten? Sie leben im ewigen Hadern mit sich selbst, haben das Gefühl, nie etwas richtig machen zu können. Die Kälte und Distanz der Narzissten verhindern eine wirkliche Beziehung. Im Dunstkreis des Narzissten muss man ohne wirkliche Liebe und Zuwendung auskommen. Man ist nur ein Attribut, ein Zeichen seiner Großmacht. Versucht man aus diesem Teufelskreis auszubrechen, wird man hart bestraft, indem der Narzisst einem alles entzieht, jede Zuwendung, jedes gesehen werden, es wird nicht einmal mehr mit einem gesprochen. Man ist Luft, unsichtbar, unspürbar. Man bekommt den totalen Untergang angedroht. So war meine Mutter, so war auch Birgit, auch wenn sie es besser überspielen konnte. Ich machte das Hundefutter falsch, die von mir gekaufte Kaffeemaschine wurde nicht benutzt, es wurde gekrittelt und kritisiert bis zum Erbrechen. Wenn ich an den Sex mit ihr denke, wird mir heute noch schlecht. Denn so etwas wie Zärtlichkeit oder Wärme gab es bei Birgit nicht. Sex war mit ihr eher wie zusammen Laub fegen. Verblüffend an der ganzen Geschichte war, dass mein Körper die Unerträglichkeit schon spürte und reagierte. Erst als ich die Herzbeschwerden und Panikattacken nicht mehr ertrug, mir so mancher Brückenpfeiler an der Autobahn immer anziehender erschien, erst da konnte ich ausbrechen. Spürte danach, als es ausgesprochen war, eine ungeheure Erleichterung.
Doch mit meiner Mutter werde ich noch nicht so schnell fertig. Je mehr dieses Bild, dieses Schema, sichtbarer und plausibler wird, desto mehr nimmt mein Hass auf sie zu. Desto mehr wünsche ich ihr die Pest an den Hals. Vielleicht, weil die Trauer und die Enttäuschung so alt sind und so tief sitzen. Eines letztes Erlebens, ungenügbar und unerträglich zu sein, bedurfte es noch. Danach war meine Entscheidung komplett, auf nahe, zu nahe Beziehungen in Zukunft zu verzichten.
Andererseits, wenn ich so meine älteren Posts lese, habe ich Fortschritte gemacht. Man wird demütiger, je länger man nachdenkt.
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